News - Detailansicht

Aktuell

Klang gewordenes Mysterium – Bernd Wildens „Werke für Orgel, Chor und Orchester“ auf CD erschienen

|   News

Den Bielefelder Komponisten, Dirigenten und Organisten Bernd Wilden kennzeichnet eine stilistische und genreübergreifende Vielseitigkeit: Neben Pop- und Jazz-Kompositionen, Bühnen- und Kammermusiken, Orchester- sowie kirchenmusikalischen Werken – herauszuheben ist sicherlich sein Oratorium „Ruach“ – machte Wilden in den letzten Jahren über Deutschland hinaus insbesondere durch sinfonische Filmmusiken zu zahlreichen Stummfilm-Klassikern von sich reden.

Nun kehrte Wilden mit einem Projekt, das vom Evangelischen Stadtkantorat Bielefeld unter der Leitung von Stadtkantorin Ruth M. Seiler in Auftrag gegeben wurde, zurück zu seinen Wurzeln als Kirchenmusiker: Gemeinsam mit der Camerata St. Mariae – vor allem bestehend aus Mitgliedern der Bielefelder Philharmoniker, einem Chorensemble des Evangelischen Stadtkantorats Bielefeld (Mitglieder des Jugendvokalensembles VokalTotal, des Bielefelder Vokalensembles und der Marienkantorei) sowie Ruth M. Seiler und Bernd Wilden (beide Leitung und Orgel) ist eine CD-Einspielung geistlicher Werke entstanden, die einen kompositorischen Bogen von der Sinfonie für Orgel und Orchester über ein Orgelsolowerk bis hin zu einer Psalmvertonung für Chor, Orgel und Orchester spannt und die dem Klangstil der romantischen Ladegast-Orgeln nachempfundene Eule-Orgel der Neustädter Marienkirche erstmals auf einem Tonträger präsentiert.

Die „Sinfonia“, ein Auftragswerk des Stadtkantorats zur Einweihung der Orgel 2017, schlägt mit formalen Elementen die Brücke zur klassisch-romantischen Sinfonik. Bereits das den ersten Satz („Prolog“) durchziehende achttönige Eröffnungsmotiv der Orgel öffnet den dunkel getönten Vorhang für eine danach vom Orchester aufgegriffene und weiterentwickelte cineastisch-dramatische Szenerie, die sich während des durchführungsartigen Mittelteils in einen nahezu pastoral versöhnenden Dialog von Orgel und Orchester begibt. Ein tänzelndes Motiv scheint den Blick auf die Dramatik des Beginns wieder in den Vordergrund zu rücken, um am Ende in die vermeintlich hoffnungslos düstere Lage des Hauptthemas hinabzusinken.

Nach Todes-Assoziationen kehrt in den zweiten Satz („Sequentia“) das Leben zurück. Es entfaltet sich – anfangs begleitet von vermeintlichen Vogelrufen – eine Art Frühlingserwachen, das sich, unterlegt von einer beharrlich pulsierenden, minimalistischen und nur leicht variierten Streicherfigur-Grundierung, als Thema der Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ („Dem österlichen Opferlamme Lob“) entpuppt. Teils von harschen, an Strawinskys „Sacre du printemps“ erinnernden Bass-„Peitschenhieben“ angetrieben, steigert es sich – mal geheimnisvoll düster, mal licht frohlockend –, um schlussendlich in einem durch einen dissonanten Halbton eingefärbten Dur-Akkord strahlend aufzugehen oder – um im österlichen Gedanken zu bleiben – aufzuerstehen. Der dritte Satz („Variationes“) gestaltet sich zunächst als Folge von Variationen über ein neobarock anmutendes Thema, das sich, von der Flöte ausgehend, im Holzbläser- und Streicherapparat fortspinnt und bisweilen auch die Orgel nahtlos mit einflicht. Und doch driftet die Musik zunehmend von der originären Themengestalt ab und spielt dessen dramatische Kraft aus, die schließlich im Triumph endet.

Das 2023 speziell für diese Aufnahme komponierte und von Wilden selbst eingespielte „Tryptique“ für Orgel solo umfasst drei Sätze, die im Stile später französischer Orgelromantik die Melodien der Oster- und Pfingstsequenz sowie einen Adventshymnus aufgreifen. Dabei wird eine mystisch anmutende „Méditation“ von einem „fantastischen Tanz“ und einer Toccata „umflügelt“. Der „Danse fantastique“ ist als Perpetuum mobile („sich ständig Bewegendes“) einer permanent wechselnden Abfolge von Zweier- und Dreierrhythmen gestaltet, die – wie der zweite Satz von Wildens „Sinfonia“ – die Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ variiert und Einflüsse der Minimal Music aufweist. Eine flirrende melodische Umspielung der Motivik in mittlerer und hoher Tonlage wird in der Bassstimme melodisch einstimmig und in Motivfragmenten erwidert.

So entsteht ein schillernder Klangteppich, in dem einzelne Elemente von verschiedenen Seiten beleuchtet und aufzuflackern scheinen. Der zentrale Hymnus „Conditor alme siderum“ („Erhabener Schöpfer der Gestirne“) vertieft sich kontemplativ in den weihnachtlichen Heilsgedanken. Dies beschwört Wilden zunächst mit archaisch anmutender Ein- und Zweistimmigkeit, begleitet von – teils chromatisch – ansteigenden Linien in der Bassstimme bis hin zu einer sphärisch klingenden Akkordik, die zuletzt wie ein ewiges Licht leuchtet. Das gregorianische „Veni Sancte Spiritus“ bildet den thematischen Kern der abschließenden Toccata, die das Kommen des Heiligen Geistes mit stürmischen Läufen und kraftvollen Klangballungen drängend erfleht.

Die wiederum als Auftragswerk des Evangelischen Stadtkantorats komponierte Vertonung des 115. Psalms entstand bereits 2014 anlässlich der Abschlussveranstaltung des Jubiläumsjahres „800 Jahre Bielefeld“, wurde jedoch von Wilden 2018 zu einer reduzierten Fassung für Chor, Orgel und kleines Orchester umgearbeitet. Auch ihre musikalische Konzeption ist nicht darauf aus, große Sprünge zu machen: Die melodische und motivische Linie bewegt sich  ohrenfällig oft in kleinen Tonschritten. Dies erzeugt einen engeren Tonumfang, der sich mehr am Sprachduktus des Psalmtextes als an Ausdrucksspitzen der musikalischen Sprache orientiert. Ohnehin hat es sich Wildens Tonsprache eher zur Aufgabe gesetzt, die „ursprüngliche Schlichtheit und Kraft“ des gregorianischen Chorals aufzunehmen, und durch ein Klangbild – einem Bild der impressionistischen Malerei ähnlich – dem Zuhörer die Stimmung und Atmosphäre eines Moments zu vermitteln.Die offene Tonalität, frei schwebende Akkorde, klangliche Verschiebungen und Übereinanderschichtungen sowie die Auflösung eines strengen rhythmischen Gerüsts tragen dazu bei, die Melodik und Motivik unmittelbar aus dem Text heraus zu entwickeln wie auch das Mysterium und Wunder des verkündeten Wortes zu verstärken. Dies gelingt Wilden ebenso durch seine unprätentiöse Instrumentierung, die grelle oder überscharfe  Farbeinschläge vermeidet und die breite Farbpalette der Eule-Orgel harmonisch mit einbindet. Auch die Tempi und Dynamiken halten sich moderat, um prägnante Textstellen hervorzuheben.

Insgesamt herausgekommen ist eine von allen musikalischen Beteiligten einschließlich des stimmlich ausgewogenen Chorapparats eindrücklich auf den Punkt gebrachte Ersteinspielung einer zeitgenössischen Kirchenmusik, die tatsächlich praktikabel ist und unmittelbar anspricht, ohne sich mit auf oberflächliche Wirkung abzielenden Extremen und aufdringlich eingängiger Melodik und Harmonik anzubiedern. Stattdessen bedient sie sich auf kompositorisch bemerkenswerte Weise traditioneller Mittel und erreicht ihre Wirkung in der Sinfonie wie auch in der Psalmvertonung auf fast kammermusikalische Weise: Denn auch die Besetzung des Orchesters mit lediglich 23 Musikern konzentriert sich auf das spirituelle und transzendente Moment der Musik. Das renommierte Detmolder Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm (MDG) hat diese Musik in der kraftvoll leuchtenden Akustik der Neustädter Marienkirche aufgenommen und in gewohnter klanglicher Authentizität, Lebendigkeit und Qualität produziert.

Christoph Guddorf

 

 

Die CD ist hier zum Preis von 20 Euro erhältlich. Evangelisches Stadtkantorat, ev.stadtkantorat@kirche-bielefeld.de, Telefon 0521 175939.

 

 

Zurück
Die Eule-Orgel in der Neustädter Marienkirche
Bernd Wilden
CD von Bernd Wilden
Top